Requiem für Mignon
(aus “Wilhellm Meister”)
... Die Gesellschaft setzte sich, und zwei
unsichtbare Chöre fingen mit holdem Gesang
zu fragen: “Wen bringt ihr uns zur stillen
Gesellschaft?” Die vier Kinder antworteten
mit lieblicher Stimme: “Einen müden Gespielen
bringen wir euch; laßt ihn unter euch ruhen,
bis das Jauchzen himmlischer Geschwister ihn
Dereinst wieder aufweckt.”
Chor:
“Erstling der Jugend in unserm Kreise, sei
willkommen! mit Trauer willkommen! Dir folge
kein Knabe, kein Mädchen nach! Nur das noia!
Alter nahe sich willig und gelassen der
stillen Halle, und in ernster Gesellschaft
ruhe das liebe, liebe Kind!”
Knaben:
“Ach! wie ungern brachten wir ihn her! Ach!
und er soll hier bleiben! laßt und auch bleiben,
laßt uns weinen, weinen an seinem Sarge!”
Chor:
“Seht die mächtigen Flügel doch an!
seht das leichte, reine Gewand! wie blinkt die
goldene Binde von Haupt! seht die schöne,
die würdige Ruh’!”
Knaben:
“Ach! die Flügel heben sie nicht; im leichten
Spiele flattert das Gewand nicht mehr; als
wir mit Rosen kränzten ihr Haupt, blickte sie
Hold und freundlich nach uns.”
Chor:
“Schaut mit den Augen des Geistes hinan!
in euch lebe die bildende Kraft, die das
Schönste, das Höchste hinauf, über die
Sterne das Leben trägt.”
Knaben:
“Aber ach! wir vermissen sie hier, in den
Gärten wandelt sie nicht, sammelt der Wiese
Blumen nicht mehr. Laßt uns weinen,
Wir lassen sie hier! laßt uns weinen und bei
ihr bleiben!”
Chor:
“Kinder! kehret ins Leben zurück. Eure
Tränen trockne die frische Luft, die um das
schlängelnde Wasser spielt. Entflieht der
Nacht! Tag und Lust und Dauer ist das Los
Der Lebendigen.”
Knaben:
“Auf! wir kehren ins Leben zurück. Gebe der
Tag uns Arbeit und Lust, bis der Abend uns
Ruhe bringt, und der nächtliche Schlaf uns
erquickt”
Chor:
“Kinder! eilet ins Leben hinan! In der Schönheit
reinem Gewande begegn’ euch die Liebe mit
himmlischem Blick und dem Kranz der
Unsterblichkeit!”