01. Szene am Garten
Faust:
Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?
Margarete:
Saht Ihr es nicht? ich schlug die Augen nieder.
Faust:
Und du verzeihst die Freiheit, die ich nahm?
Was sich die Frechheit unterfangen,
Als du jüngst aus dem Dom gegangen?
Margarete:
Ich war bestürtzt, mir was das nie geschehn;
Es konnte niemand von mir Übels sagen.
Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen
Was Freches, Unanständiges gesehn?
Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
Mit dieser Dirne gradehin zu handeln.
Gesteh’ ich’s doch! Ich wußte nicht, wass ich
Zu Eurem Vorteil hier zu regen gleich begonnte;
Allein gewiß, ich war recht bös’ auf mich,
Daß ich auf Euch nicht böser werden konnte.
Faust:
Süß Liebchen!
Margarete:
Laßt einmal!
Sie pflückt eine Sternblumme und zupft die Blätter ab,
eins nach dem andern
Faust:
Was soll das? Einen Strauß?
Margarete:
Nein, es soll nur ein Spiel.
Faust:
Wie?
Margarete:
Geht! Ihr lacht mich aus.
Sie rupft und murmelt.
Faust:
Was murmelsts du?
Margarete (halb laut):
Er liebt mich – liebet mich nicht.
Faust:
Du holdes Himmelsangesicht!
Margarete (fährt fort):
Liebt mich – Nicht – Liebt mich – Nicht –
Das letzte Blatt ausrupfend, mit holde Freude
Er liebt mich!
Faust:
Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
Dir Götterauspruch sein. Er liebt dich!
Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
Er faßt ihre beiden Hände.
Margarete:
Mich überläuft’s!
Faust:
O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck dir sagen,
Was unaussprechlich ist:
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
Zu fühlen, die ewig sein muß!
Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung sein.
Nein, kein Ende! Kein Ende!
Margarete drückt ihm die Hände, macht sich los und
läuft weg. Er steht einen Augenblick in Gedanken,
dann folgt er ihr.
Marthe kommend:
Die Nacht bricht an.
Mephistopheles:
Ja, und wir wollen fort.
Marthe:
Ich bät’ Euch, länger hier zu bleiben,
Allein es ist ein gar zu böser Ort.
Es ist, als hätte niemand nichts zu treiben
Und nichts zu schaffen,
Als auf des Nacbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
Und man kommt ins Gered’, wie man sichmmer stellt.
Und unser Pärchen?
Mephistopheles:
Ist den Gang dort aufgeflogen.
Mutwill’ge Sommervögel!
Marthe:
Es scheint ihr gewogen.
Mephistopheles:
Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.
EIN GARTENHÄUSCHEN
Margarete springt herein, steckt sich hinter die Tür,
hält die Fingerspitze an die Lippen, und guckt durch
die Ritze.
Margarete:
Er kommt!
Faust kommt:
Ach Schelm,so neckst du mich!
Treff’ ich dich! Er küßt sie.
Margarete ihn fassend und den Kuß zurückgebend :
Bester Mann! von Herzen lieb’ ich dich!
Mephistopheles klopft an.
Faust stampfend :
Wer da?
Mephistopheles:
Gut Freund!
Faust:
Ein Tier!
Mephistopheles:
Es ist wohl Zeit zu scheiden.
Marthe kommt.
Ja, es ist spät, mein Herr.
Faust:
Darf ich Euch nicht geleiten?
Margarete:
Die Mutter würde mich – Lebt wohl!
Faust:
Muß ich denn gehn? Lebt wohl!
Marthe:
Ade!
Margarete:
Auf baldig Wiedersehn!
Faust und Mephistipheles ab.